Die Adjalar-Oase ist die Perle der Orientsande. Übersät von anmutigen Zinnen, die hoch in den blauen Himmel ragen, hat sie schon seit jeher aufstrebende Händler, Handwerker und Gelehrte aus dem ganzen Land zu sich gelockt. Der große Zauberer Farrukh jedoch war es, der ihren Namen zu einer festen Größe machte. Die Geschichten seiner Wunder waren im ganzen Dominion bekannt und sein edles Auftreten wie auch sein enormes Wissen riefen bei jedem allergrößte Bewunderung hervor.

Der Zauberer hatte einen Sohn, Ishmael, und tat alles, seinem Spross nur das Beste zur Verfügung zu stellen: ob luxuriöse Gewänder, exquisites Essen oder die bestmögliche Ausbildung. Obwohl Ishmael einen so einflussreichen und respektierten Vater hatte, ließ er sich das nicht zu Kopf steigen und wuchs zu einem bescheidenen und wahrhaft intelligenten Jungen mit den besten Manieren heran. Seine magischen Fertigkeiten, die Meister Farrukh höchstpersönlich kultivierte, würden den Talenten seines Vaters zumindest ebenbürtig sein oder sie sogar übertreffen.

Und so zogen die Jahre ins Land, bis eines freudigen Tages die Zeit für Ishmael gekommen war, sein Zuhause zu verlassen und sein Leben als Erwachsener zu beginnen. Es war sein 16. Geburtstag! Das Geburtstagskind erhielt einen Brief von seinem Vater, in dem er ihm gratulierte und ihn aufforderte, die Karmesinhalle aufzusuchen. Ishmael, in feinste Gewänder gehüllt, rannte voller Freude zur Halle, eifrig, zu erfahren, welches Geschenk er dieses Mal von seinem Vater erhalten würde. Letztes Jahr hatte ihm sein Vater einen Dolch geschenkt, den der Junge fortan stets in einer ledernen Scheide, die an seinem Gürtel befestigt war, bei sich trug. Nun also stand der junge Mann vor den massiven Türen der Halle, die er bis zu diesem Tage unter keinen Umständen betreten durfte, öffnete sie und trat herein.

Der große Zauberer sah ungewöhnlich ernst aus. Ishmael fiel auf, dass sich sein Vater heute unnötig pompös benahm und auch so sprach. Farrukh wies den Jungen an, auf dem soliden Steinthron in der Mitte des dunklen Raums Platz zu nehmen, und ging dann zu einem Podest, auf dem ein uraltes Kästchen stand. Der Zauberer öffnete es und griff hinein. „Welch Überraschung Vater wohl dieses Mal für mich vorbereitet hat?“, dachte sich Ishmael, als er sich die groben Muster näher ansah, die in die steinernen Armlehnen eingraviert waren. „Das wird sicher das beste Geschenk sein, das ich je bekommen habe!“

Just in diesem Augenblick stellte Ishmael plötzlich fest, dass er seine Hände nicht bewegen konnte. Sie schienen wie durch Magie an den Thron gefesselt zu sein. Auch der Rest seines Körpers war mittlerweile erstarrt und dem Jungen blieb nichts anderes übrig, als sich verwirrt umzusehen. Was geschah hier? Dann blickte er nach oben und sah seinen Vater über ihm stehen, sein Arm ausgestreckt und einen langen Opferdolch in der Hand haltend.

„Was tust du da, Vater?!“, schrie ihm der Junge ins Gesicht.

„Du wirst meine größte Opfergabe werden. Die Götter der Finsternis werden es zu schätzen wissen und mich mit grenzenloser Macht segnen! Endlich werden all die Mühen, all die Anstrengungen Früchte tragen. Ich werde meine sterbliche Hülle zurücklassen und der größte Zauberer aller Zeiten werden!“

Mit diesen Worten und wahnsinnigem Blick schwang Farrukh den Dolch mit aller Macht nach unten. Anstatt der Schreie seines Sohnes hallte jedoch nur ein dumpfes Geräusch durch die Halle, als die Klinge auf Stein traf. Der Thron war leer und Ishmael stand hinter dem Zauberer. Sein Vater drehte sich geschwind herum, um noch einmal zuzuschlagen. Aber als er in die Augen seines Sohnes blickte, zögerte er nur für einen Moment, denn er sah dort nichts als das brennende Verlangen, zu leben. Bevor er wusste, wie ihm geschah, lag der große, alte Zauberer bereits schon in einer Lache aus seinem eigenen Blut und röchelte sein Leben aus.

Farrukh hatte den Jungen so gut ausgebildet, dass dieser nun ein begabterer Magier als er selbst war. Doch Ishmael kam nicht ungeschoren davon und musste für den Mord an seinem Vater bitter büßen. Von diesem Tage an war die Finsternis des Meisterzauberers ein fester Bestandteil des jungen Mannes und verlieh ihm zwar außerordentliche Macht, versuchte sich jedoch auch ständig, sich seiner Seele zu bemächtigen. Er musste in ewiger innerer Zerrissenheit leben und jeden Tag darum kämpfen, die Mächte in ihm im Zaum zu halten. In dem Versuch, Frieden und Heilung zu finden und das Trauma des Verrats durch seinen Vater zu überwinden, entschloss sich Ishmael, dem Guten zu dienen.